Product Discovery in regulierten Umgebungen: Ein schlanker 3-Schritte-Prozess
Discovery in regulierten Umgebungen hat ein Problem: Die Standardmethoden funktionieren nicht.
Teresa Torres' Continuous Discovery setzt auf wöchentliche Kundeninterviews und iteratives Lernen. In unregulierten Märkten funktioniert das. In Gematik-, BaFin- oder OZG-Projekten nicht – weil jede Iteration Compliance-Aufwand bedeutet.
Gleichzeitig ist "keine Discovery" keine Option. Wer baut, bevor das Problem klar ist, verschwendet Monate.
Dieser Artikel zeigt einen schlanken 3-Schritte-Prozess, der Discovery in regulierten Umgebungen praktikabel macht.
Das Problem mit Standard-Discovery
In unregulierten Märkten:
- Du baust ein Feature, testest es, iterierst
- Feedback-Zyklen dauern Tage
- Pivots sind billig
In regulierten Umgebungen:
- Jedes Feature durchläuft Compliance-Prüfung
- Feedback-Zyklen dauern Wochen bis Monate
- Pivots kosten Zertifizierungsaufwand
Konsequenz: Discovery muss vor dem Build abgeschlossen sein – nicht parallel dazu.
Der 3-Schritte-Prozess
Schritt 1: Problemdefinition (2-3 Tage)
Eine schlechte Problemdefinition ist der häufigste Grund für gescheiterte Features. In regulierten Umgebungen ist sie fatal – weil du nicht einfach "nochmal iterieren" kannst.
Schlechte Problemdefinition:
"Nutzer haben Probleme mit der ePA-Integration."
Gute Problemdefinition:
"65% der Apotheker brechen die ePA-Abfrage ab, weil der Prozess mehr als 3 Klicks erfordert und keine Rückmeldung gibt, ob die Verbindung steht."
Kriterien für gute Problemdefinitionen:
- Präzise: Ein Satz, keine Interpretation nötig
- Messbar: Enthält Zahlen oder klare Kriterien
- Kundenorientiert: Aus Nutzerperspektive formuliert
- Lösungsneutral: Beschreibt das Problem, nicht die Lösung
Datenquellen in regulierten Umgebungen:
- Support-Tickets und Hotline-Protokolle
- Nutzungsdaten aus dem Live-System
- Stakeholder-Interviews (Ärzte, Apotheker, Sachbearbeiter)
- Feedback aus Schulungen und Onboardings
Zeitinvestition: 2-3 Tage. Nicht mehr. Wer länger braucht, hat zu wenig Fokus oder zu wenig Daten.
Schritt 2: Hypothesen entwickeln und priorisieren (3-5 Tage)
Eine Hypothese ist eine testbare Annahme. Sie verbindet Problem und Lösung.
Struktur:
"Wenn [Aktion], dann [erwartetes Ergebnis], gemessen an [Metrik]."
Beispiel:
"Wenn wir die ePA-Abfrage auf einen Klick reduzieren und einen Verbindungsstatus anzeigen, dann sinkt die Abbruchrate von 65% auf unter 30%, gemessen an der Completion Rate im Live-System."
Priorisierung mit Fokusmatrix:
| Niedriger Aufwand | Hoher Aufwand | |
|---|---|---|
| Hoher Impact | Sofort umsetzen | Planen |
| Niedriger Impact | Quick Wins | Ignorieren |
In regulierten Umgebungen gilt zusätzlich: Compliance-Aufwand bewerten. Ein Feature mit niedrigem Dev-Aufwand kann hohen Zertifizierungsaufwand haben.
Fragen zur Priorisierung:
- Wie groß ist der Impact auf die Kernmetrik?
- Wie hoch ist der Entwicklungsaufwand?
- Welche Compliance-Prüfungen sind erforderlich?
- Können wir vor der Implementierung validieren?
Schritt 3: Hypothesen testen (1-2 Wochen)
Testen heißt nicht: Feature bauen und ausrollen. Testen heißt: Validieren, bevor du Compliance-Aufwand investierst.
Testmethoden in regulierten Umgebungen:
| Methode | Wann geeignet | Compliance-Aufwand |
|---|---|---|
| Klick-Dummy / Prototyp | UX-Hypothesen | Keiner |
| Wizard-of-Oz (manuell im Hintergrund) | Prozess-Hypothesen | Gering |
| A/B-Test im Live-System | Validierte Hypothesen | Hoch |
| Stakeholder-Interviews | Bedarfs-Hypothesen | Keiner |
Beispiel aus einem Gematik-Projekt:
Hypothese: Apotheker brechen ab, weil sie nicht wissen, ob die ePA-Verbindung steht.
Test: Klick-Dummy mit Verbindungsstatus-Anzeige, getestet mit 8 Apothekern.
Ergebnis: 7 von 8 bestätigten, dass der Status ihr Hauptproblem lösen würde.
Nächster Schritt: Feature spezifizieren, Compliance-Prüfung starten.
Nach dem Test: Bewerten und iterieren
Fragen nach jedem Test:
- Wurde die Hypothese bestätigt?
- Was haben wir gelernt?
- Was ist der nächste Schritt?
Wenn bestätigt: Implementierung planen, Compliance-Prozess starten. Wenn nicht bestätigt: Neue Hypothese formulieren oder Problem neu definieren.
Warum dieser Ansatz funktioniert
Vergleich mit Continuous Discovery:
| Aspekt | Continuous Discovery | Dieser Ansatz |
|---|---|---|
| Zeitrahmen | Laufend, wöchentlich | Episodisch, 2-3 Wochen |
| Kundeninterviews | Wöchentlich | Gezielt pro Hypothese |
| Iteration | Parallel zum Build | Vor dem Build |
| Compliance-Fit | Niedrig | Hoch |
Continuous Discovery ist nicht falsch – aber für regulierte Umgebungen nicht praktikabel. Der 3-Schritte-Prozess liefert validierte Entscheidungen, bevor Compliance-Aufwand entsteht.
Für wen geeignet:
- Teams in Gematik-, BaFin- oder OZG-Projekten
- Produktmanager unter Zeitdruck
- Organisationen ohne etablierte Discovery-Kultur
Zusammenfassung
| Schritt | Zeitaufwand | Output |
|---|---|---|
| 1. Problemdefinition | 2-3 Tage | Präzises, messbares Problem |
| 2. Hypothesen | 3-5 Tage | Priorisierte, testbare Annahmen |
| 3. Testen | 1-2 Wochen | Validierte Entscheidungsgrundlage |
Gesamt: 2-3 Wochen statt monatelanger Discovery-Zyklen.
In regulierten Umgebungen zählt nicht, wie oft du iterierst. Es zählt, dass du vor dem Build weißt, was du baust – und warum.